Hopsten - St. Georg - 2018

Bild: Westerdam (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hopsten_St._Georg,_Orgel.jpg), CC BY-SA 3.0 DE
Bild: Westerdam (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hopsten_St._Georg,_Orgel.jpg), CC BY-SA 3.0 DE

Möchte man die geographische Lage von Hopsten beschreiben, wird deutlich, dass die Gemeinde so eine Art "Randerscheinung" sein muss: Am nördlichen Rand des Kerngebietes des Bistums Münster, wie auch des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen gelegen - gerade noch dem Tecklenburger Land, fast schon dem Emsland zugehörig und organologisch allgemein eine weniger beachtete Gegend. Letzteres etwas zu Unrecht, überlebte doch einiges Interessante abseits der bekannten Pfade.

 

Gut erhaltene Denkmalorgeln findet man freilich kaum, doch ist fragmentarisch manches aus dem Wirken des aus Ostfriesland eingewanderten Joachim Wenthin (1778-1857), der in Münster ansässigen und durchaus renomierten Orgelbauerfamilie Kersting und auch der Orgelbauerfamilie Heilmann erhalten, die ihre Werkstatt im 18. und 19. Jahrhundert für rund 130 Jahre in Herbern (zwischen Ascheberg und Werne) unterhielt und von dort bis ins knapp 90 km entfernte Hopsten wirkte.

 

Dieser Mangel an "Highlights" war vielleicht auch der Antrieb dafür, jenem hier thematisierten Instrument den Titel "Die Barock-Orgel" von Hopsten zu geben, der schön klingt, aber nicht wirklich der Realität entspricht, handelt es sich doch eher um einen Neubau von 1956 unter Verwendung alter Windladen und Pfeifen.

 

Auf dieser Seite möchte ich jedenfalls die Gelegenheit nutzen und das erste größere Projekt vorstellen, das ich als freischaffender Intonateur im Rahmen meiner Selbständigkeit absolviert habe. Dieses wäre nicht möglich gewesen ohne das Vertrauen von Stephan Trostheide, der als Auftragnehmer und Leiter der Arbeiten mir den klanglichen Teil übertragen hat. Zwischen Februar und April 2018 haben er und sein Team die Orgel einer umfangreichen Revision unterzogen, die ihren Abschluss in der klanglichen Überarbeitung fand. Über die Voraussetzungen und die ausgeführten Arbeiten werde ich im Folgenden berichten.


Kleine Orgelgeschichte

Die eingangs etwas ironisch bemerkte "Randlage" ist für eine Orgel insofern überlebenswichtig, als dass sie dadurch einem zu starken Wirken des gerade modernen musikalischen Geschmacks quasi entzogen wird. Viele gut erhaltene und (für uns heute) wertvolle Instrumente finden sich nicht ohne Grund an Orten, die im Laufe der Zeit aus dem Fokus rückten und dort mehr oder minder unbeschadet das Wehen des Zeitgeistes überstehen konnten. Hat das in Hopsten auch in Gänze aus vielerlei Gründen nicht funktioniert, so trug die Lage doch ein wenig dazu bei, dass im jetzigen Instrument in nicht unbedeutem Anteil Material aus den beiden Vorgängerorgeln sich erhalten konnte.

Die Orgel Goswin Heilmanns von 1746

Die zwischen 1732 und 1734 erbaute und St. Georg geweihte Kirche, erhielt als erstes Instrument eine einmanualige Orgel von Goswin Heilmann (1696-1759). Der erhaltene Kontrakt vom 21. Juli 1744 nennt dazu unter anderem die folgenden Details:

[...]

disposition eines newen orgels in Hopsten

Manuale

Principale      8 Fues

Borduen      16 Fues

Gedac            8 Fues

Octava           4 Fues

noch Octava 2 Fues

Quinta           3 Fues

Rohrfleute    4 Fues

Waldfleute    2 Fues

Sesquialtera 3 starke

Mixtur           5 starke

Trompett      8 Fues halbirt

1mo: Die Pfeiffen sollen zum achtentheil mit Engelzinnen versetzet werden.

[...]

3. Die registra sollen oben am Clavier mit dabey ein anhängigen pedal mit zwey octaven von große bis c'.

Das Clavier in manuale mit gantzen octaven und unten C.D.Dis bis oben in Discant c.

[...]

Am 18. August 1746 wird die Orgel schließlich abgenommen und damit beinahe ein Jahr später, als im Orgelbauvertrag vorgesehen - offenbar eine Konstante im Orgelbau.

Die nächste größere Notiz über das Instrument ist ein Gutachten von 1852 aus der Hand von Melchior Kersting (1815-1879), das sowohl die inzwischen eingebaute Posaune 16', als auch das nach seiner Aussage 1839 hinzugefügte (oder ein schon früher hinzugefügtes und dieses ersetzende) zweite Manualwerk erwähnt. Die Posaune wurde windladenseitig im Umfang C bis H bereits durch Goswin vorbereitet und durch seinen Sohn Friedrich (1732-1789) schließlich in die Orgel eingesetzt. Das erste Manual repräsentiert auch in Kerstings Mitteilung den durch Heilmann geschaffenen Zustand. Über das hinzugefügte zweite Werk teilt er folgendes mit:

[...]

b.) Zweites Manual (Positiv) im Umfang von 4 1/2 Octav - von C, Cis bis zum f'''

1.) Principal 8' einige (4) Pfeifen von Holz, die übrigen von Metall

2.) Bourdon 8' eine Octave von Holz, die übrigen von Metall

3.) Viola di Gamba 8' vom kleinen c im Baß anfangend

4.) Octav 4'

5.) Quintatön Discant 16', im eingestrichenen c mit 4' anfangend

6.) Flaut 4' von Holz

7.) Octav 2'

8.) Salizet Discant 8' im eingestrichenen c anfangend

9.) Dulcian Baß und Clarinet Discant 8'

[...]

Bemerkenswert sind einerseits die unterschiedlichen Klaviaturumfänge und die fehlenden großen Oktaven der zu dieser Zeit populären Streicherstimmen. Insbesondere letzteres ist 1839 einerseits auffällig "unmodern", war andererseits hier wohl mangelnder Deckenhöhe geschuldet - trotzdem wollte man auch in Hopsten nicht auf diese Charakterstimmen verzichten.

 

Darüberhinaus teilt Kersting mit, dass die Orgel in Cornetstimmung, also rund einen Halbton höher stünde, was sich mit dem Befund an den erhaltenen Pfeifen deckt.

 

In seinem Urteil über die Ausführung der Arbeiten Heilmanns ist Kersting wenig schmeichelhaft: Die Hauptwerkslade ist nach seiner Aussage "im ganzen ohne hinreichenden Fleiß gearbeitet,...". Ähnliches ist zu Mechanik und Windanlage zu hören. Zusammenfassend teilt er mit: "Nach dem angeführten wird es einleuchtend, und kann ich mein Urtheil nur dahin  aussprechen, daß diese Orgel ein sehr mangelhaftes und in ihren Fundamenten sehr abgängiges Werk sei, weshalb  ich von einer oberflächlichen Reparatur nach bestem Ermessen nur abrathen darf, da solche nur für kurze Zeit eine Aufrüstung gewähren kann, und im Grunde eine nutzlose Verwendung der bewirkten Kosten sein würde."  Kersting wird gute Gründe für sein Urteil gehabt haben, fand er doch ein äußerst heterogenes Instrument mit zahlreichen technischen Mängeln vor, dennoch tönen die "Abrissgründe" erstaunlich modern - eine weitere Konstante im Orgelbau.

Der Umbau durch Melchior Kersting 1855

Die durch Kersting in seinem Gutachten beschriebenen Mängel führen zu einem weitgehenden technischen Neubau der Orgel. So fertigt er ein neues Gehäuse, die Hauptwerkslade und eine Pedalwindlade neu an. Da er in seinem Gutachten bereits die nötigen Maßnahmen zur Verbesserung der Lade des zweiten Manuals benennt, ist davon auszugehen, dass er diese entsprechend umbaut. Im Hauptwerk übernimmt er die meisten Register Heilmanns und fügt noch eine Flauto traversiere 8' hinzu. Die Manualtrompete fertigt er im Diskant neu an, für den Bass verwendet er (angeblich) teilweise die alte Posaune Heilmanns. Seine Trompete, wie auch Heilmanns Sesquialter und Mixtur weichen um 1900 dem sich wiederum ändernden Geschmack und werden durch eine neue Trompete, Viola di Gamba 8' und eine neue Mixtur ersetzt.

 

Wie er mit dem Pfeifenwerk des zweiten Manuals umgeht, lässt sich nicht mehr feststellen, wenn er auch in seinem Bericht dessen enge Mensurierung und die damit einhergehende schwache Tongebung kritisiert.

Die nun erstmals eigenständige Pedalwindlade besetzt er mit Subbaß 16' (erhalten), Principalbaß 8', Posaune 16' (verändert erhalten) und Trompet 8' (verändert erhalten).

Neubau durch Breil 1956

Eingedenk der Tatsache, dass sich Kersting mit den durch ihn durchgeführten Arbeiten nur am "Allernotwendigsten" orientierte, mag dessen Verlust aus heutiger Sicht vielleicht nicht ganz so stark schmerzen. Großes Glück hingegen war es, dass die Währungsreform 1948 bereits gefasste Neubaupläne mit Fritz Klingenhegel aus Münster zunichtemachte, denn damit wäre das endgültige Ende des überkommenen Materials besiegelt gewesen.

I. Rückpositiv C - f'''
Holzgedackt (B) 8'
Principal (B) 4'
Rohrflöte (B) 4'
Waldflöte (B) 2'
Quinte (B) 1 1/3'
Sesquialter II (B) 2 2/3'
Scharff III (B) 1'
Dulcian (B) 16'
Krummhorn (B) 8'
Tremulant  
   
III. Oberwerk C - f'''
Gedackt (H) 8'
Spitzflöte (H) 4'
Salizet (vK) 4'
Blockflöte (H) 2'
Terz (B) 1 3/5'
Quintflöte (B) 1 1/3'
Oktav (B) 1'
Mixtur III (B) 1 1/3'
Rankett (B) 8'
Trompete (B) 4'
Tremulant  
II. Hauptwerk C - f'''
Quintade (B/vK)  16'
Principal (B, Prospekt) 8'
Gedackt (H) 8'
Octav (vK) 4'
Hohlflöte (H) 4'
Quinte (H) 2 2/3'
Octav (H) 2'
Mixtur IV (B) 1 1/3'
Cimbel II (B) 1/2'
Trompete (B) 16'
Trompete (B) 8'
   
Pedal C - d'
Subbaß (K) 16'
Principal (B, Prospekt) 8'
Octav (H, alter (Prospekt)-Principal 8') 4'
Quintade (vK, alter Bourdon 8') 4'
Nachthorn (B) 2'
Hintersatz IV (B) 2 2/3'
Pedalcimbel III (B) 2/3'
Posaune (K) 16'
Trompete (K) 8'
   
Mechanische Register- und Tontraktur  
Normalkoppeln  
   
gleichstufige Temperierung  

(H) - Register mit hohem Bestand an Pfeifen aus der Orgel von Goswin Heilmann - 1746

 

(vK) - Register mit Pfeifenmaterial aus dem 1839 (oder davor) hinzugefügten II. Manual

 

(K) - Register von Kersting 1855

 

(B) - Register von Breil 1956

 



Renovierung durch Breil 1985

Eine erste umfangrichere Renovierung der Orgel erfolgte 1985 durch die Firma Breil, im Nachgang der 1982 begonnenen Kirchensanierung. An Windladen und Pfeifenwerk sollten ausdrücklich keine Veränderungen erfolgen. Neben den notwendigen Reinigungsarbeiten wurden die Klaviaturen, sowie das Gebläse erneuert. Ebenso wurden die Trakturen überarbeitet und dabei die Abstrakten aus Aluminium durch solche aus Holz ersetzt.

Das anlässlich der Wiedereinweihung gedruckte Faltblatt ist im Folgenden wiedergegeben.

Technische und klangliche Überarbeitung 2018

Nach nunmehr über 30 Jahren ohne umfangreichere Arbeiten, war 2018 der Moment gekommen, sich wieder ein wenig intensiver der Orgel anzunehmen - für eine Reinigung war die Zeit ohnehin mehr als reif, besonders auch angesichts des sich ausbreitenden Schimmelbefalls. Darüberhinaus wurden zahlreiche dem natürlichen Verschleiß unterliegende Teile erneuert. Stephan Trostheide und seine Mitarbeiter übernahmen diesen Teil der Arbeiten. Ich habe bei der Reinigung und Aufarbeitung des Pfeifenmaterials unterstützt.

Zweiter Schwerpunkt im technischen Bereich war die Renovierung des Spieltisches. Die überabreiteten Oberflächen, wie auch die neuen Manubrien und Registerschilder geben nun ein erheblich einladenderes Bild als zuvor. Der in Kevelaer ansässige Drechsler Frank Seehausen übernahm die Fertigung der neuen Manubrien aus geräucherter Eiche. Um die Werke besser zuordnen zu können, wurden die neuen Registerschilder aus Pergament entsprechend farblich gefasst, so dass nun eine viel leichtere Orientierung für den Spieler möglich ist.

Besonders probelmatisch war der Bleizucker-Befall des niederprozentigen Materials der Pfeifen aus der Hand Goswin Heilmanns. Hier mussten insbesondere Füße und Labienbereiche von Kleinpfeifen teilweise ganz ersetzt werden - da gab es keine andere Möglichkeit. Viele der alten Pfeifen waren im Laufe der Jahre ganz verstummt, da der Bleizucker die Kernspalten gänzlich deformiert hatte.

Den Abschluss der Arbeiten bildete die umfangreiche Intonationsphase, die zwei grundsätzliche Ziele verfolgte: Einerseits sollte das alte Pfeifenmaterial so wenig wie möglich verändert werden, andererseits sollten die Breilschen Zutaten von 1956 klanglich derart weiterentwickelt werden, dass sich am Ende ein homogones Gesamtbild ergibt. Bisher standen diese beiden Klangwelten eher unglücklich nebeneinander.

Im Bereich der Grundstimmen wurde die Orgel im Rahmen des Möglichen gestärkt, um für die zahlreichen Farbregister und gemischenten Stimmen eine breite Basis zu haben. Nun entwickelt sie "barocken Glanz", ohne dass die Klangpyramide auf dem Kopf zu stehen kommt.

Die reiche Besetzung mit Zungenstimmen ist alles andere als ein Normalfall in den frühen Nachkriegsjahren. Wenn auch die beiden erhaltenen Zungen von Kersting im Pedal durch Breil umgearbeitet wurden, haben sie doch einen ganz speziellen Charme behalten, der nun wieder voll zur Geltung kommt. Die intensive und sorgfälltige Nachintonation der kurzbechrigen Zungen war äußerst lohnend - zu Unrecht werden diese Register heute oft geschmäht.

Weitere Informationen

  • Die Legende der "Barockorgel von Hopsten"
  • Neben den unzähligen mündlich erhaltenen Informationen, die in den obigen Text eingeflossen sind, war "Herbert Brügge, Der Orgelbau im Tecklenburger Land, Kassel 2000" die wesentliche Basis dafür.
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